Rezension: Upton Abbey

Seit die siebte Edition des traditionsreichen Horrorrollenspiels „Cthulhu“ erschienen ist, zieht der Publikationsoutput bei Pegasus wieder spürbar an. Mit „Upton Abbey“ kommt bereits der fünfte Abenteuerband für die im Oktober letzten Jahres erschienene neue Regelversion heraus. Leidet unter der Quantität die Qualität, oder erfüllt „Upton Abbey“ alle Erwartungen?

Rezension - Upton AbbeyZumindest bei mir waren die Erwartungen recht hoch, denn „Upton Abbey“ verspricht vier ausgearbeitete One-Shots für „Cthulhu“. „One-Shots“, das sind Abenteuerszenarien, die für speziell vorgefertigte Spielercharaktere geschrieben wurden und es somit ermöglichen, auch einmal ausgefallenere oder tödlichere Handlungen zu präsentieren, wie sie für ein normales Kampagnenspiel eher unbrauchbar wären. Und gerade für „Cthulhu“ gibt es legendäre One-Shots, die ich sehr gerne gespielt oder geleitet habe. Das alle hier versammelten One-Shots darüber hinaus aus dem „Cthulhu“-Supportteam stammen und damit geschrieben wurden, um neue Spieler für „Cthulhu“ zu begeistern, könnte ein weiterer Qualitätsgarant sein.

Auch „Upton Abbey“ erscheint als gediegener Softcoverband. Die Seiten bestehen aus einem rauen, angenehm dicken Papier. Entgegen den schmaleren Vorgängerbänden wurden dem cthuloiden Horror hier aber gleich 120 Seiten spendiert, was auf eine umfangreiche Materialfülle rückschließen lässt. Was aber findet sich zwischen den Buchdeckeln? Ein wichtiger Hinweis: Eine Rezension von Abenteuerszenarien vermag kaum komplett ohne Hinweise auf die Handlung auszukommen. Mir sei daher die obligatorische Spoilerwarnung erlaubt: Leser, welche die Abenteuer noch als Spieler erleben möchten sei angeraten, bis zum Fazit vorzuspringen.

Das titelgebende „Upton Abbey“ eröffnet denn auch den cthuloiden Abenteuerreigen. Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Angestellten eines britischen Herrenhauses. Während sie ihren normalen Tätigkeiten nachgehen, werden sie Zeuge des dramatischen Niedergangs der Familie: Erst verstirbt die Dame des Hauses bei der Geburt ihres zweiten Kindes, wenige Monate später begeht die erste Tochter der Familie Selbstmord. Was steckt hinter diesen Ereignissen – und werden die Investigatoren die folgende Nacht überleben? Upton Abbey ist umfangreich ausgearbeitet und kommt insbesondere mit einer großen Menge wunderschön gestalteter Handouts daher. Leider ist die Hintergrundgeschichte für viele Gemüter wohl eher schwer verdaulich (und nebenbei meines Erachtens völlig ungeeignet für Support-Zwecke), der eigentliche Schockmoment eher von biederer Natur. Ein durchwachsener Auftakt.

Ungleich kürzer folgt das zweite Szenario „Gehetzt“. Eine Gangsterbande überfällt eine Bank, doch auf der Flucht kommt es zu Komplikationen. Mehr lässt sich über die äußerst dünne Handlung auch kaum sagen. Das Abenteuer ist eher eine Art Übungsstunde für die modernen Verfolgungsjagdregeln als ein wirkliches Szenario. Wenn man bedenkt, dass die Grundidee, die wirklich coolen Investigatoren und auch weiterführende Ideen sehr eng an den One-Shots „Last Men Standing“ angelehnt sind (was auch im Text erwähnt wird), kann man über die sehr dünne Story noch weniger hinwegsehen.

Als drittes folgt dann „Verderbliche Verse“, ein Szenario, das den Gelben König zum Thema hat. Nach einem Leichenfund machen sich die Investigatoren daran, die letzten Stunden des Unglückseligen zu rekonstruieren. Sie stoßen auf eine mehr als unheimliche Geliebte und eine Gefahr, die sie schnellstens ausschalten müssen. „Verderbliche Verse“ ist mein persönlicher Liebling in „Upton Abbey“. Handlungsverlauf und Ortschaft wirken klassisch, und doch sind neue Wege zu beschreiten. Leider ergeben gerade hier die mitgelieferten Investigatoren keine aufeinander abgestimmte Gemeinschaft, sondern eher eine bunt zusammengewürfelte Gruppe.

Abgeschlossen wird der Band schließlich mit dem Szenario „Golem“, das als Kampagnenauftakt für den kommenden „Prag“-Band dienen kann. Nach einer durchzechten Nacht erwacht die Gruppe in einer Prager Kneipe. Schon bald müssen sie feststellen, dass eine fremde Macht von ihnen Besitz ergriffen hat – und wer ist der hartnäckige Verfolger, der sich an ihre Fersen geheftet hat? „Golem“ wartet mit einer interessanten Prämisse auf, verwandelt es doch die Investigatoren in ein Gruppenkollektiv. Außerdem wird den Investigatoren geschickt eine schwerwiegende, moralische Entscheidung abverlangt, was dem ganzen Szenario eine düstere Aura verleiht. Sicher nicht einfach zu leiten, wer sich aber darauf einlassen mag, erhält einige interessante Ideen.

Für die optische Aufarbeitung gibt es wiederum eine gute Zwischennote. Die Bebilderung erfolgt abermals mit alten Photographien, was sowohl stimmungsvoll als auch oft passend geschieht. Auch die wie immer zahlreichen Handouts liegen weiterhin in beeindruckender grafischer Qualität vor und auch die Karten können sich sehen lassen.

Fazit: Es gibt One-Shots für „Cthulhu“, die ich als legendär betrachten würde. „Upton Abbey“ liefert leider eher Standardkost oder aber Szenarien, die noch viel Arbeit vom Spielleiter erfordern, will er ihnen etwas mehr Fleisch verleihen. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist aber mit 9,95 EUR völlig akzeptabel. Ich hätte mir aber mehr von den Szenarien erwartet.

Diese Rezension erschien ursprünglich auf Ringbote.de.

4 Kommentare zu “Rezension: Upton Abbey

  1. Danke für die Rezi! Ich hätte nur zwei Anmerkungen:

    1. Beim Durchblättern habe ich zwei Bilder mit Internet-Wasserzeichen gesehen. Das halte ich für äußerst kritisch.

    2. Ich verstehe immer nicht, wie und warum du das Papier der neuen Softcover lobst. Das ist schrecklich billiges Zeug, das im besten Fall an die alten Laurin-Tage, im schlechtesten an Recycling-Pulp vom Bahnhofskiosk erinnert. Noch dazu macht es den Druck zusätzlich unschärfer. Ich kann da nichts „gediegenes“ oder „stimmungsvolles“ dran erkennen.

  2. Danke für Euer Feedback!

    @Michael: Gerade für Cthulhu gibt es einige legendäre Abenteuer. Ich beschränke meine Antwort jetzt aber mal auf One-Shots, da ich sie ja auch in der Rezi angedeutet habe.

    Mein persönlicher All-Time-Liebling ist „Last Men Standing“ aus dem Band „Zeitlose Ängste“; Gangster in einem wahren Tarantino/Rodriguez-Movie… „Vom Winde verwest“ im gleichen Band ist auch sehr gut. In den Ausgaben der „Cthulhus Ruf“ gab es mal „Ultima Ratio“ – ultrakurz und ultraheftig. „Tod an Bord“ aus „Geisterschiffe“ hat einen geilen „Kniff“, ebenso wie „Totholz“ aus den Gratis-Support-PDF. Das ebenfalls in „CR“ erschienene „Die Prophezeiung“ teilt sowohl ungewöhnliche Protagonisten wie sehr ungewöhnliche Handlungsmotive – großartig. Aber das sind letztendlich alles auch nur meine Favoriten.

    @Stefan:
    1. Auf der einen Seite bin ich bei Dir. Als jemand, der ja selbst schon einmal stolz verlegt hat – und auch hier auf dem Blog PDF mit Layout anbietet – finde ich es schon schade, wenn die Bildrecherche und/oder -bearbeitung so schlampig läuft. Als KUNDE allerdings, und als dieser VERSUCHE ich die Rezension zu schreiben, ist mir das ehrlich gesagt egal, solange das Bild dadurch nicht total verunstaltet wird. Als KUNDE kann es mir auch egal sein, ob da mal irgendjemand Strafe für zahlen wird 🙂
    2. Ich mag das Papier tatsächlich, WEIL es sich pulpig anfühlt und weil es etwas Schärfe vom Druck nimmt. Zum einen weckt es – abseits von Laurin – irgendwie nostalgische Gefühle in mir (denn viele NICHT-DSA-Sachen aus meiner RPG-Jugend waren in eben jenem Papier gehalten), zum anderen fühlt es sich für mich auch tatsächlich besser an als Hochglanzpapier. Ich habe heute ein wenig darüber nachdenken müssen, warum das so ist, und würde es auf meine trockene Haut zurückführen. Das klingt vielleicht albern, aber um Hochglanzpapier zu blättern, muss ich immer wieder die Finger anlecken – das ist bei dem schrubbeligeren Recyclingpapier aber nicht nötig. Vielleicht bin ich damit aber auch ein etwas speziellerer Kunde.

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