Rezension: Die Mutprobe

Es braucht nicht viel für ein gutes „Cthulhu“-Abenteuer. „Die Mutprobe“, der neueste Abenteuerband aus dem Hause Pegasus, tritt diesen Beweis an – und das gleich in mehrfacher Hinsicht!

„Die Mutprobe“ reiht sich in die Reihe der beliebten Softcover-Publikationen ein, die zu einem günstigen Preis meist ein oder zwei, in seltenen Fällen auch mehr Abenteuer bieten. Außerdem steht es – obwohl auf ein Wortspiel im Titel verzichtet wurde – in der Tradition der „Halloween“-Bände, von denen mittlerweile drei veröffentlicht wurden.

Eröffnet wird der Band mit einem kleinen geschichtlichen Abriss über das Szenario selbst, denn dieses hat immerhin schon zwanzig Jahre auf dem Buckel. Zunächst wurde es als Convention-Abenteuer – sogar als Turnier-Abenteuer – geschrieben. Autor Kevin Ross gibt Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Szenarios und die verschiedenen Veröffentlichungen, die das Abenteuer bislang (auf Englisch) gesehen hat. So etwas finde ich tatsächlich immer interessant, und es hilft meines Erachtens dabei, die Intention hinter dem Szenario besser zu verstehen. Doch worum geht es jetzt eigentlich?

Die spoilerfreie Zusammenfassung: Eine Gruppe junger Kinder tritt zu einer besonderen Mutprobe an. Angestachelt – oder eher gezwungen – von dem fiesen Schläger Roger, wollen sie eine Nacht in dem alten Barnaker-Haus am Ende der Straße verbringen. Dieses steht seit Jahrzehnten leer und gilt – natürlich – als Spukhaus. Doch Geister gibt es nicht, das wissen sogar Kinder. Was soll also schiefgehen?

Die nicht spoilerfreie Zusammenfassung (Spieler überspringen diesen Abschnitt): Das alte Barnaker-Anwesen ist mitnichten unbewohnt. Tief unter den Kellern des Anwesens haust die alte Hexe Evelyn Barnaker, die just um diese Jahreszeit Lust darauf verspürt, einige Kinder zu verspeisen, um so ihrem Gott Nyarlathotep zu huldigen. Also weist sie ihre untote Marionette Roger an, ihr frisches Fleisch zu besorgen. Neben der – mit allerlei nützlichen Zaubern ausgestatteten – Hexe leben außerdem Ratten, Fledermäuse, Rattenwesen (bekannt aus Lovecrafts „Träume im Hexenhaus“) und Fledermauswesen (das fliegende Pendant zum Rattenwesen) in der alten Ruine. Und zu allem Überfluss treibt auch noch der Vertrautenkater Rastis, Auge und Ohr der alten Vettel, sein Unwesen in dem Haus. Den Kindern stehen also einige Probleme bevor, um diese Nacht zu überleben …

Ihr seht: Es braucht nicht viel für ein gutes „Cthulhu“-Abenteuer. Kevin Ross fand seine Inspiration offensichtlich in Lovecrafts Werk – besonders „Träume im Hexenhaus“ und „Das gemiedene Haus“ standen hier Pate. Gepaart mit einigen typischen Halloween-Tropen wie dem nervigen Schläger und einem Haufen Fledermäuse ergibt sich eine rasante Achterbahnfahrt des Schreckens, deren Ausgang absolut ungewiss ist. Das Abenteuer weiß mir also durchaus zu gefallen.

Was mich jedoch wirklich verärgert, ist die Aufbereitung des Ganzen. Immerhin gibt der Autor selbst zu Protokoll, dass das Szenario in rund vier Stunden spielbar sein sollte. Warum wurde der Text dann auf stolze 50 Seiten aufgebläht? Warum sollte die Vorbereitungszeit auf ein Szenario länger ausfallen, als das Spiel selbst? Warum wurde jede erdenkliche Treppenstufe genau skizziert, jeder Raum bis auf den letzten Winkel beschrieben? Ein halbwegs versierter Spielleiter könnte das Szenario mithilfe der obigen Zusammenfassung und dem Grundriss eines alten Hauses problemlos leiten – und als Turnier-Abenteuer hat es auch wohl so seinen Anfang genommen. Was hier vorliegt, ist ein Beispiel für schlechte Textaufbereitung und hat mit modernem Rollenspieldesign überhaupt nichts gemein.

Die übrigen Seiten des Bandes liefern einige vorgefertigte Charaktere (löblich) sowie einige Anregungen, um die ohnehin schon recht intuitiven „Cthulhu“-Regeln weiter zu verschlanken. So werden Vorschläge für das Zusammenlegen einiger Fertigkeiten gemacht, um die kindlichen Möglichkeiten besser darzustellen. Das ist zwar recht gut gelungen, im Hinblick auf das ohnehin recht simple Grundgerüst der Regeln in meinen Augen aber unnötig. Ein Überblick über Horrorfilme der 1980er-Jahre rundet den Band dann ab.

Kennern cthuloider Abenteuerbände erwarten hinsichtlich Bebilderung und Layout in diesem Band keine großen Überraschungen. Die in Schwarz-Weiß gehaltenen Illustrationen sind hochwertig, das Layout wirkt ordentlich und aufgeräumt. Optisch klar abgesetzte Textkästen transportieren prägnant zusätzliche Informationen oder Spielwerte. Lektorat und Korrektorat haben einen guten Job gemacht. Technisch gibt es damit nichts zu meckern.

Fazit: „Die Mutprobe“ ist ein lovecrafteskes und zugleich modernes Abenteuer, welches mit wenigen Zutaten eine interessante Mischung erreicht. Leider ist es sperrig aufbereitet und prosaisch unnötig aufgebläht. Wer die Zeit mitbringt, den Text durchzuarbeiten, erhält einen lohnenswerten One-Shot.

PS: Diese Rezension erschien zuerst auf Ringbote.de

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