Rezension: Der tiefe Fall des Dr. Erben

Zur Spielemesse ist sie nun endlich erschienen, die neue Edition für das traditionsreiche Rollenspiel „Cthulhu“. Flankierend erschienen bereits die Abenteuerbände „Die Priester der Krähen“ und „Das Geisterschiff von Caerdon“; „Der tiefe Fall des Dr. Erben“ komplettiert die Bände mit aufbereitetem Material aus den vergriffenen „Cthuloiden Welten“.

Rezension - Der tiefe Fall des Dr. ErbenEine Rezension von Abenteuerszenarien vermag kaum komplett ohne Hinweise auf die Handlung auszukommen. Es folgt an dieser Stelle damit die angebrachte Spoilerwarnung: Leser, die die Abenteuer noch als Spieler erleben möchten sei angeraten, bis zum Fazit vorzuspringen.

Wie schon die Vorgängerbände liegt mit „Der tiefe Fall des Dr. Erben“ ein 72-seitiger Softcoverband vor. Wieder wurden für die Publikation Abenteuer ausgewählt, die bereits in lange vergriffenen Ausgaben der „Cthuloiden Welten“ erhältlich waren. Natürlich wurden aber auch hier beide Texte dezent überarbeitet, um mit den neuen Regeln kompatibel zu sein.

Das titelgebende Abenteuer „Der tiefe Fall des Dr. Erben“ eröffnet dann auch gleich den Abenteuerband. Einer der Charaktere ist von einer furchtbaren Krankheit befallen und sucht daher den Rat des Arztes Dr. Erben. Dieser hat eine neuartige Behandlungsmethode entwickelt und behandelt in einem einsamen Kurhaus im Harz nahe des Brockens. Also quartiert sich die Gruppe kurzerhand im nahegelegenen Dorf ein. In den nächsten Tagen müssen sich die Charaktere aber nicht nur mit der Krankheit und seltsamen Symptomen des Patienten herumschlagen. Schon bald häufen sich die Todesfälle um das Dorf, ein altes Übel scheint sein Haupt zu heben und über allem schwebt der drohende Schatten des Brocken-Gespenstes. Viel Lokalkolorit, eine ganz eigentümliche Stimmung (die wohl am ehesten an „Frankenstein“ gemahnt), viele interessante und liebevolle Ideen und nicht zuletzt ein guter Schuss Abwechslungsreichtum bis hin zu einem pulpgeschwängerten Ende machen „Der tiefe Fall des Dr. Erben“ sehr wohl zu einem gelungenen Abenteuer – allerdings ist es längst kein Einsteigerabenteuer, wie es für die Publikation eigentlich angedacht war. Tatsächlich erfordert es insbesondere von einem Spieler eine Sonderrolle und vom Spielleiter einen nicht zu verachtenden Koordinationsaufwand. Wer sich darauf einlassen mag, erhält einen denkwürdigen Ausflug in den Harz.

Es folgt „Der Gesang aus den Sphären“. Dieses Abenteuer verfolgt einen geradezu klassischen Handlungsbogen: Ein alter Freund der Charaktere zieht die Gruppe zu Rate, da sein Großvater plötzlich den Verstand verloren hat. Hinweise finden sich nur in Form einer seltsamen Schaltplatte und einer kurzen Notiz, welche die Charaktere schließlich auf die Spur eines wahnwitzigen Komponisten und eines verrückten Musikers führen werden. „Der Gesang aus den Sphären“ weist in meinen Augen einige Schwächen im Handlungsverlauf auf, die schließlich darin gipfeln, dass die Charaktere in voller Absicht in eine Sackgasse manövriert werden, aus der die Handlung sie dann selbsttätig befreit; tatsächlich mag man es dem Abenteuer aber vor dem Hintergrund, für Einsteiger besonders geeignet sein zu sollen, nachsehen. Ärgerlicher ist der Aufbau des Textes, der den lesenden Spielleiter in der Vorbereitung kaum unterstützt und dem SL bis zum Ende des Textes ebenso im Unklaren lässt wie später die Spieler. Eine Zusammenfassung oder eine kurze NSC-Beziehungsübersicht wären hier Gold wert gewesen.

Abgerundet wird der Band schließlich durch einfache Konvertierungsregeln, die beide Abenteuer mit alten Regeleditionen spielbar machen sollen – doch natürlich auch umgekehrt funktionieren. Gerade bei den ersten Abenteuerbänden für die neue Edition eine schöne Ergänzung, auch, um ersichtlich zu machen, wie wenig sich tatsächlich am Regelgerüst geändert hat.

Für die optische Aufarbeitung gibt – wie auch bereits für die Vorgängerbände – eine gute Zwischennote. Die Seiten wirken vergilbt und bestehen aus angenehm rauen und schwerem Papier. Die Bebilderung mit alten Photographien – beliebt und bekannt aus den vorangegangenen Pegasus-Publikationen – wurde zwar beibehalten, doch sind die Bilder nun oft größer dargestellt und streckenweise bis an den Bildrand gezogen, was sowohl das Bild eher auflockert als auch weiterhin elegant wirkt. Auch die wie immer zahlreichen Handouts liegen weiterhin in beeindruckender grafischer Qualität vor.

Fazit: Betrachtet man „Der tiefe Fall des Dr. Erben“ als reinen Abenteuerband, ist er sicherlich sein Geld wert. Er scheitert jedoch in meinen Augen an dem Anspruch, für Einsteiger besonders geeignet zu sein. Eben jenen würde ich vorläufig zu anderen Abenteuern raten wollen. Für erfahrene Gruppen allerdings wiederum ein Band mit einem ordentlichen Preis-Leistungsverhältnis.

PS: Diese Rezension erschien ursprünglich auf Ringbote.de

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4 Kommentare zu “Rezension: Der tiefe Fall des Dr. Erben

  1. Guten Tag der verehrte seanchuigoesrlyeh,

    Ich bin bald neuer Spielleiter mit dem Fokus auf Cthulhu, insbesondere One-Shots und möchte dies auch so gut es geht im vorraus tun. Ich bin im Besitz des Grundregelwerkes sowie dem Investigatorenkompendium und Abenteuerbänden (… ähm, ja).

    Ich versuche derzeit herauszufinden, welches Abenteuer das beste für einen Neuling wie mich wäre; in vielen Rezensionen lese ich, das diese nicht für Anfänger geeignet sind (auch die Spieler sind bis auf einen alle Grünschnäbel was Cthulhu angeht, kennen nur z.B. Pathfinder).

    Kurz: Welches Abenteuer würde eine Empfehlung für einen blutigen SL-Anfänger erhalten?

    Ich besitze:
    – Grundregelwerkabenteuer (Setting nicht ganz meins)
    – Priester der Krähen
    – Der tiefe Fall des Dr. Erben
    – Frisches Blut
    – Ars Mathematika
    – Abenteuer aus der Gruft
    – Der Feind meines Feindes
    – Dreißig
    – Feiertage der Furcht

    Vielen, vielen lieben Dank im vorraus für die Hilfe 🙂
    Liebe Grüße
    Karin

    • Hallo Karin,

      danke für Dein Vertrauen, hier nachzufragen 🙂

      Also, zunächst: Jeder „Anfänger“ kommt mit den meisten CTHULHU-Abenteuern eigentlich zurecht. Das ist ja hier auch keine Raketenwissenschaft, sondern immer noch ein Spiel :-). Mach‘ Dir also zunächst einmal keine großen Sorgen, es wird bestimmt Spaß machen!

      Um Deine Frage aber ein bißchen konkreter zu beantworten: Für Einsteiger und Neulinge finde ich persönlich es immer ganz schön, wenn man ein Abenteuer an einem Abend durchgespielt hat. Heißt, die Neulinge lernen einmal die ganze Erfahrung bis hin zum „Sieg“ kennen. Später kann man dann immer noch langfristigere Sache machen, aber beim allerersten Mal irgendwie mittendrin zu unterbrechen, fände ich unbefriedigend.

      Dazu kommt natürlich, dass Deine Spieler „neu“ sind, heißt, noch keine Erfahrung darin haben, wie Rollenspiel funktioniert. Daher würde ich auch nichts wählen, was von Ihnen „mehr“ verlangt, als „nur“ das normale Spiel. In „Geisterschiff-von-Caerdon“-Band ist z. B. das Abenteuer „Böses Erwachen“, dass damit spielt, dass die Spielercharaktere Drogenvisionen haben. Diese doppelten Böden sind am Anfang sicher schwieriger plausibel darzustellen, als wenn alle ein bißchen Übung haben.

      Technisch gibt es damit einen Haufen Abenteuer aus Deinen Bänden, die Du ausprobieren könntest. Jetzt geht es eher darum, was Du und Deine Leute gerne spielen würdet. „Lovecraftschen“ Horror, also eher subtil und leise (bis etwas furchtbares passiert), gepaart mit einem detektivischen Touch? Oder eher „Slasher-und-Survival“-Horror? Oder etwas dazwischen?

      Von den Abenteuerbänden, die Dir vorliegen, habe ich gute Erfahrungen mit „Feiertage der Furcht“ und den beiden Abenteuern „Unhappy Thanksgiving“ und „Sobeks Silvester“ gemacht. Die sollten gut an einem Abend zu schaffen sein. Mein „Jäger und Gejagte“ ist eigentlich auch in zwei-drei Stunden zu bewältigen, ist allerdings auch wenig subtil und eher auf Survival-Horror ausgelegt. Und wenn Deine Freunde auf „Horror“ stehen und die typischen „Teenie-Slasher“-Tropen kennen und schätzen, würde ich noch „Blutiges Schäferstündchen“ aus „Frisches Blut“
      oder „Filmriss“ aus „Dreißig“ ins Spiel bringen wollen. Aber das ist dann schon sehr „Geschmackssache“.

      Ich hoffe, Dir mit meiner Einschätzung geholfen zu haben.

      Viele Grüße
      Seanchui

  2. Hallo Seanchui,

    vielen herzlichen Dank für die ausführliche Antwort und Zeit!

    Das beruhigt mich jetzt sehr. Die Spieler habe ich vorab gefragt, ob sie Wünsche an den Stil haben – das überlassen diese mir aber völlig. Ich liebe den klassischen „lovecraftischen“ Horror, wenn man ihn so definieren kann; Investigation, Schlüsse ziehen (welche immer absurder und grausiger werden können) und auf ein entzsetzliches Geheimnis stoßen etc. um dann Kontakt mit dem Mythos herzustellen – und hoffentlich überleben. Ich möchte das Ganze so mysteriös und unheimlich wie möglich präsentieren und, wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme, bei weiteren Abenteuern den Stil auch mal zu brechen, wie zB. es mit deinem (mMn sehr spannenden) „Jäger und Gejagte“ möglich wäre, da ich gelesen habe, das Cthulhu mit erfahrenen Spielern sich etwas abnutzen kann.
    Ich denke kreative Ideen und Überraschungsmomente, die nicht immer dem gleichen Faden folgen, werden hier für spannende Abende sorgen, aber jetzt versuche ich erstmal die Feuerprobe zu bestehen 🙂

    Nochmals vielen Dank – das ist mir alles eine sehr große Hilfe, auch er Forenlink ist Gold wert!
    Liebe Grüße (und weiter so!),
    Karin

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